Im ersten Teil unserer Reihe zum Thema โ€žWas tun gegen Mobbing?โ€œ beschรคftigen wir uns mit den Grรผnden fรผr Mobbing und dem idealen Zeitpunkt, Anfeindungen zu verhindern.

Psychoterror in der Grundschule: Warum wird mein Kind gemobbt?

โ€žMama? Tom hat mich heute in der Pause gehauen.โ€œ Marie ist 8 Jahre alt, geht in die dritte Klasse und hat wie fast jedes Schulkind zuhause schon einmal geรคuรŸert, von Mitschรผlern gedemรผtigt oder beleidigt worden zu sein. Bei einmaligen Vorkommnissen kann noch nicht von Mobbing die Rede sein. Was aber, wenn sich die Angriffe hรคufen? Wenn Marie mit Loch in der Hose heimkommt? Wenn sie ihre Brotdose in der Schule โ€žverlorenโ€œ hat?

Ist das schon Mobbing?

Laut Dan Olweus, Pionier in der Erforschung von Mobbing in Schulen, wird ein Schรผler dann gemobbt, โ€žwenn er wiederholt und รผber eine lรคngere Zeit negativen Handlungen durch einen oder mehrere andere Schรผler ausgesetzt istโ€œ1. Mobbing dabei auf kรถrperliche Angriffe wie schubsen, treten, spucken zu beschrรคnken wรคre falsch: Verbale Offensiven wie Beleidigungen, Hohn oder Spott kรถnnen hรคufig noch schmerzhafter sein. Wer sein Gegenรผber wie Luft behandelt, Gerรผchte รผber ihn verbreitet oder ihn einschrรคnkt, begeht Mobbing auf psychischer Ebene. Auch das Entwenden persรถnlicher Gegenstรคnde gehรถrt dazu.

Was habe ich falsch gemacht?

Eine der ersten Fragen, die sich Maries Eltern stellen, ist die Frage nach dem Grund, warum es genau ihre Tochter erwischt hat. Haben sie etwas in der Erziehung versรคumt? Hat Marie einen Fehlerbegangen? Die Antwort darauf: nein. Am allerwichtigsten im Umgang mit Mobbing ist es zu verstehen, dass weder der Gemobbte selbst, noch die Erziehung der Eltern Schuld an dem Dilemma trรคgt. Wissenschaftliche Studien haben ergeben, dass jeder in die Rolle des Opfers fallen kann. Die Eigenschaften des Opfers hรคngen nicht mit seiner misslichen Lage zusammen. Eine Sache haben alle Geplagten jedoch gemein: Sie heben sich in irgendeiner Form von der Masse ab, positiv oder negativ. Es spielt keine Rolle, ob Tom neidisch auf Marie ist, weil sie auรŸergewรถhnlich gute Noten schreibt, weil Marie im Gegensatz zu allen anderen kein Handy hat oder weil Marie besonders schlecht im Sportunterricht ist: Der Tรคter greift immer eine Abweichung von der Norm auf, um seine Attacken zu begrรผnden.

Warum wird รผberhaupt gemobbt?

Hรคufigster Grund fรผr Mobbingattacken ist das Bestreben des Tรคters, den eigenen sozialen Stand zu wahren oder sogar zu verbessern. Er zieht Vorteile aus der รœberlegenheit dem Opfer gegenรผber. Die Opferrolle trifft ein willkรผrliches Kind, dessen Schwรคche am ehesten angreifbar ist โ€“ Marie zum Beispiel, weil sie ihre Trรคnen schwer zurรผckhalten kann. Erreicht Tom durch systematisch wiederholte Sticheleien die erwartete Reaktion, ist der Prozess im Gange. Die Anfeindungen beginnen beim Tรคter als Mittelpunkt und breiten sich von dort netzartig aus.

Rechtzeitig eingreifen! Die drei Phasen des Mobbing-Prozesses

Experten teilen den Mobbing-Prozess in drei Phasen ein: In Phase 1 sucht der Tรคter sich durch kleinere Sticheleien ein geeignetes Opfer aus. Maries Eltern sollten ihre Tochter rechtzeitig aufklรคren, dass sie schon an dieser Stelle vermeiden kann, zum Opfer gewรคhlt zu werden, indem sie sich nicht angreifen lรคsst. Tom wird versuchen, nervรถse Reaktionen wie Wut, Verunsicherung oder Trรคnen zu erwirken. Wenn Marie das nicht zulรคsst und etwas Unerwartetes tut, zum Beispiel spรถttisch lachen oder Tom wie Luft behandeln, ist sie schon bald nicht mehr interessant.
War Phase 1 fรผr den Tรคter dennoch erfolgreich, beginnen in der zweiten Phase die ersten Attacken. Elementar wichtig ist es fรผr Eltern und Lehrer, an dieser Stelle zu reagieren und Angriffe aufzudecken! Die netzartige Ausbreitung der Anfeindungen darf gar nicht erst beginnen. Maries ร„uรŸerungen sollten deshalb in jedem Fall ernst genommen werden, ein Gefรผhl der Hilflosigkeit darf nicht entstehen. Nichteingreifen, Ignorieren oder pรคdagogische Nachsicht seitens der Lehrer und Eltern wird Tom als
Billigung deuten.
Die dritte Phase nennt sich Manifestationsstadium, denn hier รผberzeugt Tom seine Mitschรผler, dass die Angriffe gerechtfertigt sind. Der Konflikt spitzt sich jetzt zu, der Tรคter nimmt grรถรŸeren Einfluss auf die sozialen Strukturen und Marie wird immer stรคrker ausgegrenzt. Das Netz wรคchst.

Kleinkrieg im Klassenzimmer: Verschiedene Rollen

Wie in einem Krieg gibt es auch innerhalb eines Mobbing-Falls mehr Rollen als nur Tรคter und Opfer. Diese gilt es beim Einschreiten zu berรผcksichtigen. Neben Unterstรผtzern und Verteidigern gibt es noch AuรŸenstehende, die sich enthalten. Die Verteilung der Rollen verรคndert sich mit dem Fortschreiten des Mobbing-Prozesses. Um in der Gruppe selbst zu รผberleben, wenden sich spรคtestens in der dritten Phase Verteidiger und sogar gute Freunde von Marie ab. Mit der Zeit gibt es nur noch Angreifer im Mobbing-Netz. Deshalb ist die Intervention dann wichtig, wenn die Stรคrkung der Verteidiger und Schwรคchung der Unterstรผtzer noch mรถglich ist.